Berührungen für Menschen mit Behinderung

Leon bietet fachlich qualifizierte erotisch sexuelle Dienstleistungen an für Menschen mit Beeinträchtigung. Insbesondere für Frauen mit Behinderung eröffnen sich somit neue Möglichkeiten. Leon, der in seinem Privatleben anders heisst, im Gespräch mit dem Handicapforum.

Leon: Herzlichen Dank für die Einladung! Ich freue mich über das Interesse an meiner Tätigkeit und ich glaube, es ist  auch wichtig,  die Öffentlichkeit zu  informieren und aufzuklären.

Handicapforum, Barbara lmobersteg: Wir freuen uns, dass Sie bereit sind, über ihre Motivation und Erfahrungen zu sprechen. Das Thema ist ja ein be­sonderes es geht um Sexualität. Sie sind Sexual­begleiter und richten ihr Angebot an Menschen mit Behinderung.

Ja, ich habe meine Ausbildung bei lnSeBe (Initiative SexualBegleitung) abgeschlossen. Menschen mit Be­hinderung können meine Dienstleistungen als Sexu­albegleiter oder Berührer, wie man früher sagte, in Anspruch nehmen.

Wie geht das vor sich?

Wenn sich jemand bei mir meldet, treffen wir uns zu einem Erstgespräch. Lebt die Interessentin in einer Institution, ist eine ihrer Bezugspersonen dabei.  Ich frage nach den Bedürfnissen, aber auch nach den No­ Go's, was allenfalls heikel ist oder tabu. Ich teile mit, welchen Wünschen ich meinerseits nachkommen kann und dann halten wir unsere Vereinbarungen schriftlich fest. Das ist die  Basis  für  unser späteres Treffen,  das in der Praxis oder auf Wunsch auch in der Institution stattfinden  wird.  Frauen  sind  lieber   auswärts, weil sie negative Reaktionen aus ihrem Umfeld befürchten. Nach wie vor schämen sich viele Frauen, für ihre se­xuellen Bedürfnisse einzustehen.

Dass Frauen sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen oder sich eine Session mit einem Berührer gönnen, ist ja nicht selbstverständlich...

Oh ja, da gibt es noch viele Vorurteile. Wenn bei Män­nern unerfüllte sexuelle Bedürfnisse wahrgenommen werden, etwa weil sie sich aggressiv und übergriffig verhalten, sucht man nach einem Angebot, damit sie bekommen, was sie brauchen. Wenn Frauen auffällig werden, sagt man ihnen: «lass das!»

Bei Frauen muss man zudem befürchten, dass sie selbst Opfer von körperlichen Übergriffen werden ...

Ja, das ist ein grosses Thema, das höchste Sensibilität erfordert. Ich selber bin als Sexualbegleiter und Berüh­rer auch mit Vorurteilen konfrontiert. So, wie Berüh­rerinnen oft als «Prostituierte» abgestempelt werden, bekomme ich als Mann das Etikett «Lüstling» verpasst. 

Wie haben Sie zu dieser Aufgabe und Tätigkeit gefunden, kommen Sie aus dem pflegerischen Bereich?

Mitnichten. Ich habe einen technischen Beruf erlernt. Nebenher habe ich mich aber schon seit vielen Jahren für Körperarbeit interessiert. Ich habe auch eine Aus­bildung in klassischer Ganzkörper-Massage und Rü­ckenmassage nach Dorn-Breuss absolviert. Die Freude am Körper und an den Menschen war schon immer da und hat mich geleitet. 

Und das Sinnlich-Erotische?

Das habe ich im Rahmen von Tantra-Seminaren vertieft und weiterentwickelt. Da habe ich erst einmal gelernt, mir selbst zu begegnen. Tantra ist eine schöne Mög­lichkeit, frei zu werden von unseren Konditionierungen und Hemmungen. Ich habe gelernt, offen, absichtslos und achtsam auf Menschen zuzugehen. Das war mein Weg, den ich gegangen bin und meine Offenheit und mein Wissen rund um das Thema Sexualität wurden immer grösser. Ich freue mich, heute alle Menschen berühren zu können, ob Frau, ob Mann, ob jung, ob alt, ob körperlich beeinträchtigt oder nicht. Die herzoffene, menschliche Begegnung steht im Zentrum. 

Was haben Sie in Ihrer Ausbildung zum Sexual­begleiter konkret gelernt?

Bei lnSeBe finden mit allen Bewerbern zuerst Vorge­spräche statt. Die Eignung wird sehr sorgfältig geprüft, längst nicht alle Bewerber werden aufgenommen. In verschiedenen Modulen setzt man sich dann mit allen Aspekten der Sexualbegleitung auseinander vom Erst­gespräch über den Umgang mit Nähe und Distanz bis zu Öffentlichkeitsarbeit. Man befasst sich mit der eigenen Biografie, dem Körperbewusstsein und man arbeitet praktisch in Workshops.

Und das Thema Behinderung?

Es gab einen theoretischen Teil zu Krankheitsbildern, besonderen Bedürfnissen und Kommunikationsmög­lichkeiten sowie ein Praktikum in einer Institution, um mit den Voraussetzungen der Pflege und Assistenz vertraut zu werden. Ich komme ja, wie gesagt, nicht aus der Pflege, ich frage deshalb in der Praxis mein Gegenüber, wo ich wie anfassen darf oder helfen soll.

Wie sieht denn diese Praxis konkret aus?

Sehr unterschiedlich. Bewusste, zärtliche Berührungen sind immer ein Element. Menschen mit Betreuungs­bedarf kennen das oft überhaupt nicht, weil sie aus Angst übergriffig zu wirken, meist eher grob angefasst werden. Es kann dann zu einer Intim-Massage kom­men, wobei Intimität nichts mit erogenen Zonen zu tun haben muss, es kann alles geschehen, solange es nicht unserer Vereinbarung widerspricht und auch meine Grenzen nicht überschreitet. Es geht, wie bei allen, auch ums Experimentieren, Spielen und Spass haben und es geht wesentlich auch darum, den eige­nen Körper kennen- und lieben zu lernen.

Begleiten Sie auch Paare?

Ja, ich biete auch Sexualassistenz an für Paare sowie für Einzelne, die ihren eigenen Körper erforschen möchten. 

Und was kostet eine Session mit dem Berührer?

Wer durch die lnSeBe zertifiziert ist, folgt einer klar definierten Berufsethik mit entsprechenden Standards. Dazu gehört auch der Tarif, der nicht durch bestimmte Dienstleistungen bestimmt wird, sondern einzig durch die Zeit. Während der vereinbarten Zeit findet eine Be­gegnung statt, die offen ist für Sexualität. Eine Stunde kostet in der Regel 150 Franken. Wir reflektieren üb­rigens unsere Arbeit auch regelmässig im Rahmen von Supervisionen und Fachaustausch-Treffen. 

Gibt es denn viele Berührer?

Es gibt immer mehr, die Kurse sind derzeit ausgebucht. Ich glaube, die Zeit ist reif für diese Veränderungen und ich bin sehr motiviert, dazu beizutragen. Es gibt natürlich kein Anrecht auf die Erfüllung sexueller Be­dürfnisse, aber es gibt ein Recht diese zu haben. Auch Menschen mit Beeinträchtigungen haben dieses Recht und ich möchte allen Mut machen, ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen und dafür einzustehen.

Initiative Sexualbegleitung www.insebe.ch

email: leon@sexuaIbegleiter.ch

Aus: handicapforum Nr. 01 I 2022